Sind wir noch zu retten?
Ob diese Frage zu melodramatisch oder gar völlig überzogen ist, mag jede und jeder für sich selbst entscheiden. Als Motto stand sie über dem Schulgottesdienst des Elisabeth-Gymnasiums. Am vergangenen Freitag feierten wir ihn in der Moritzkirche. Im Gedenken an unsere Schulpatronin Elisabeth von Thüringen. Vor mehr als 800 Jahren unterstützte jene ungarische Prinzessin und Landgräfin aus Nächstenliebe tatkräftig Arme und Schwache. Menschen, die hilflos und auf sich gestellt waren. Was hat das mit uns zu tun?
Sind wir noch zu retten?
Angesichts all dessen, was manchen Sorge bereitet oder sogar Angst macht, mag diese Frage durchaus ihre Berechtigung haben. Das biblische Gleichnis vom „Barmherzigen Samariter“ – zu finden im Lukasevangelium unter Lk. 10, 29 – 37 – kann nicht nur Lernende und Lehrende aus dem ELG nachdenklich machen. Worum es geht? Einer, der von Räubern überfallen worden und ausgeplündert worden war, wurde verletzt „halbtot“ (Lk. 10, 30) liegen gelassen. „Zufällig“ (Lk. 10, 31) kamen ein Priester und ein Gesetzeslehrer des Weges. Lapidar heißt es bei jedem von ihnen: „Er sah ihn und ging vorüber.“ (ebd. und Lk. 10,32). Geht sie nichts an. Sie haben genug eigene Sorgen. Was kümmert sie der andere?
Sind wir noch zu retten?
Manchmal ist es schwer, eine Antwort in diesem Zusammenhang zu geben. Jenem, der in der genannten Stelle aus der „Heiligen Schrift“ Opfer des Raubüberfalls war, wurde ausgerechnet von einem Mann aus Samaria geholfen. Von einem, auf den manche gläubige Juden mit dem Finger zeigten. Weil er ihrer Ansicht nach nicht alle Gesetze und Gebote buchstabengetreu befolgte. Doch dieser Mann ging nicht weiter. Er zeigte Mitleid mit dem, der sich selbst nicht mehr helfen konnte und nahm sich seiner an. Nicht, weil er das musste. Sondern weil er es wollte.
Sind wir noch zu retten?
Unabhängig davon, ob ich an Gott glaube oder nicht, kann ich aktiv werden. Ich brauche nicht wegzuschauen. Oder weitergehen. Weil es mich nichts angeht. Auch ich habe, so wie ich bin und mit dem, was ich kann und habe, vielfach Chancen, anderen zu unterstützen: Weil ich das möchte. Nicht, weil ich es muss. Antworten der Lernenden aus der den Gottesdienst vorbereitenden 10. Klasse spiegeln das wider: Ob als Rettungsschwimmerin bei der Wasserwacht, beim Trainieren einer U 14 Gruppe im Ruderverein, beim Bauwagenprojekt „Man sieht sich“ der evangelischen Kirche auf der Silberhöhe in Halle, als Patin einer Klasse, beim Nachhilfeunterricht für Mitschüler. Dadurch, dass ich nicht nur an mich denke, sondern aufmerksam und hilfsbereit bin. Dass ich mir Zeit nehme und beispielsweise mit meinem 86jährigen Opa spazieren gehe, der sich darüber freut. Diese und viele andere Beispiele machen deutlich: Wir sind noch zu retten.
Sind wir noch zu retten?
Nach dem Gottesdienst waren die Schülerinnen und Schülern aus dem ELG unterwegs zu unterschiedlichen Orten in Halle und als 6. Jahrgang zur Neuenburg, wo Elisabeth sich in den Jahren 1224/ 1224 urkundlich belegt aufhielt. Sie setzten bei ihren Arbeitseinsätzen Zeichen: In Kindergärten und Senioreneinrichtungen, im Zoo, in Gemeinden, bei Putz- und Säuberungsaktionen und anderem mehr. Das Beispiel der heiligen Elisabeth und das des barmherzigen Samariters machte Schule im wahrsten Sinn des Wortes.
Br. Clemens Wagner ofm, Schulseelsorger