7. August 2024

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod

Beinahe wäre es mir nicht aufgefallen. Beinahe. Doch da passt was nicht …

Titelbild für Beitrag: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod

Dem Titel eines Buchs von Bastian Sick zufolge, ist der „Dativ dem Genitiv sein Tod“. Seit 2004 wurde dieses Werk wohl über eine Million Mal gekauft. Inzwischen sind sechs Fortsetzungen erschienen.

Immer noch und immer wieder begegnen sie einem. Mehr oder minderzufällig: Geschriebene Wortkreationen, die es in sich haben.

„Apostrophe“, „Auslassungszeichen“ werden sie genannt. „Hochkommata“ oder Oberstriche, die Lücken kennzeichnen sollen, sind es. „Marcus‘ Schultasche“ ist ein Beispiel dafür. Grammatikalisch gesehen, treffen aber nicht alle, wo auch immer sie zu lesen sind, ins Schwarze. Manchmal sind sie gut gemeint. Nur: Nicht immer gut gemacht. Sondern stattdessen schlicht und ergreifend falsch. „Torte des Monat’s“ kenne ich nicht.

Ich bin kein Deutschlehrer. Bei manchem, das ich nicht kann, nicht verstehe oder nicht begriffen habe, frage ich andere. Menschen, von denen ich glaube, dass sie es besser wissen. Oder dass sie in verschiedenen Bereichen kompetenter sind als ich es bin.

Lehrende sind prädestiniert dafür, ihrem Gegenüber etwas zu vermitteln. Ihnen auf gute Art und Weise geduldig und kind- oder jugendorientiert „beizubringen“, was diese noch nicht für sich erschlossen haben. Das ist das Prinzip, für das eine Schule stehen kann. Auch im Elisabeth-Gymnasium ist es so: „Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir.“ Immer noch und immer wieder.

Der römische Philosoph, Naturforscher und Politiker Lucius Seneca schrieb das dereinst so in seinen „Epistulae morales“ seinem Schüler Lucilius Iunior. Zuvor teilte er ihm mit: „Lebensweisheit liegt offener zutage als Schulweisheit, ja, sagen wir’s doch geradeheraus: Es wäre besser, wir könnten unserer gelehrten Schulbildung einen gesunden Menschenverstand abgewinnen.“

Theorie bietet eine gute Basis, aber auf die eigentliche Praxis kommt es an. Nicht allein in der Schule.

Auch Pädagogen sind Menschen. Obwohl sie mitten im Leben stehen und den ihnen Anvertrauten nicht nur alters- und bildungsmäßig voraus sind: Auch sie sind nicht perfekt. Sie machen Fehler. Wie andere ebenfalls, die nicht Lehrerin oder Lehrer sind.

Es geht nicht darum, etwas besser zu wissen. „Pseudoschlaumeier“, die an allem und jedem herumkritisieren, braucht niemand. Es führt zu nichts, wenn ich mich „von oben herab“ über jene abfällig äußere, deren Wissenstand erweiterbar und ergänzungsbedürftig ist. Denn auch ich kann nicht alles. Menschen lernen. Altersunabhängig. Lebenslang. Immer noch und immer wieder.

Gebürtig komme ich aus Oberfranken. Einer Region in Nordbayern, die nicht durch ihre exzellente „Deutschhochsprache“ bekannt ist. Sondern eher für ihren Dialekt, der bei Nichteinheimischen bei Verständnisschwierigkeiten manchmal ein Lächeln und gegebenenfalls Stirnrunzeln hervorrufen kann.

„Habt ihr alles verstanden?“ Jesus fragt seine Gefährtinnen und Gefährten. Nachzulesen im Matthäusevangelium bei Mt. 13, 51. Rasch antworten diese mit einem einzigen Wort: „Ja!“ (ebd.) Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit war dem nicht so. Sie werden nicht alles begriffen haben. Nicht, weil Jesus in seinen Gleichnissen das ungenügend erklärt hätte, was er ihnen darzustellen versuchte. Möglicherweise auch deswegen, weil seine Begleiter ausreichend Belehrungen von Seiten Jesu bekommen hatten. Vielleicht brauchten sie noch Zeit dafür, in Gänze alles zu erschließen, was er ihnen nahezubringen versuchte. Ob seinen Jüngern der Mut dazu fehlte, Jesus einzugestehen, dass sie doch nicht alles verstanden hatten?

Ohne Geduld, Einfühlungsvermögen und Sensibilität für die je eigenen Bedürfnisse meines Gegenübers kann ich ihr oder ihm nicht gerecht werden. Nicht nur im schulischen Kontext ist dem so.  Zu akzeptieren, dass nicht alles und jedes perfekt, vollständig oder vollendet ist, kostet Nerven und Kraft. Manchmal sind wir auf dem Weg und noch nicht am Ziel. Nicht nur zu Beginn des neuen Schuljahres 2024/ 2025. Aber wir bleiben dran. Versuchen, Tag für Tag besser zu werden. Denn bekanntlich lernt man nie aus. Miteinander und voneinander. Nicht nur am und im Elisabeth-Gymnasium.

Br. Clemens Wagner ofm, Schulseelsorger