Da fliegt er, in Gestalt einer Taube in der Kirche Zur heiligsten Dreieinigkeit in Halle. Mehrfach. Das Wunder von Pfingsten. Sichtbar vor Augen geführt.
Während es draußen gerade richtig windig ist, spüre ich von diesem Wehen im Zimmer bei geschlossenem Fenster nichts davon. Durch die Scheiben sehe ich, dass die grünen Blätter auf den Bäumen hin und her geschüttelt werden. Manche lösen sich ab und fallen zu Boden.
Dein Geist weht, wo er will. Wir können es nicht ahnen.
Er greift nach unsren Herzen und bricht sich neue Bahnen.
Es muss richtig was losgewesen sein. Damals, an diesem Pfingstfest. „Vom Himmel her kam ein heftiges Brausen,“ heißt es in der Bibel im zweiten Kapitel der Apostelgeschichte, „wie wenn ein heftiger Sturm daher fährt.“ (vgl. Apg. 2, 2). Die Gefährten Jesu sitzen gemeinsam in einem Haus, als das geschieht. Mehr noch: „Es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten. Auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt und begannen, in anderen Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.“ (Apg. 2, 3f.) Ohne Zweifel tat sich da etwas in diesem Moment. Nicht nur, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft und Ethnien in ihnen bislang unbekannten Sprachen zu hören waren. Sie verstanden einander! Das ist das Wunder von Pfingsten: Gottes Geist sorgt dafür, dass Menschen zwar in ihrer Muttersprache reden, aber nicht aneinander vorbeireden: „Parther, Meder und Elamiter, Bewohner von Mesopotamien, Judäa und Kappadokien, von Pontus und von der Provinz Asien, von Phrygien und Pamphylien, von Ägypten und dem Gebiet Libyens nach Cyrene hin, auch die Römer, die sich hier aufhalten, Juden und Proselyten, Kreter und Araber – wir hören sie in unseren Sprachen Gottes große Taten verkünden.“ (Apg. 2, 9-11). Unglaublich.
Dein Geist weht, wo er will. Er spricht in unsre Stille.
In allen Sprachen redet er, verkündet Gottes Wille.
Wenn es wieder Wirklichkeit wird, dass Kinder, Frauen und Männer nicht übereinander, sondern miteinander kommunizieren, wird Verbindendes erfahrbar. Trotz mancher Unter-schiede. Wenn Menschen sich wieder ins Gesicht schauen. Sie sich trauen, Dinge anzusprechen und beim Namen zu nennen. Sie nicht um den heißen Brei herumreden, weil sie einander ja nicht zu nahetreten wollen: Da weht er, dieser Geist Gottes. Nicht ausschließlich an Pfingsten. Falls wir es schaffen, wieder ein Herz füreinander zu haben. Wenn ich mein Gegenüber nicht als Konkurrenten oder gar als Gegner sehe, bewegt er etwas in mir, dieser Geist Gottes. Er löst Erstarrtes, Verhärtetes. Allzu Festes und Gefestigtes. „Gottes Wege sind unergründbar“, heißt es. Was Gottes Heiliger Geist tatsächlich alles bewirkt, bringt Menschen zum Staunen. Damals wie heute.
Dein Geist weht, wo er will, ist Antrieb für die Liebe.
Die Hoffnung hat er auferweckt, wo sonst nur Trauer bliebe.
Auch, wenn es manchmal so scheinen mag, bei all dem, was verunsichert, vor den Kopf stößt, sprach- und ratlos macht: Wir sind noch lange nicht von allen guten Geistern verlassen! Dessen bin ich mir sicher. Denn Gottes Geist selbst schafft es: Dass Liebe nicht nur ein Wort bleibt. Dass trotz mancher Verzweiflung und meiner eigenen Grenzen und Begrenztheiten Hoffnung greifbar und spürbar wird. Für mich und für andere. Nur eine fromme Wunschvorstellung? Oder Wirklichkeit, auf die und über die ich mich aus ganzem Herzen freuen kann? Ausgelöst durch jene „Kraft von oben“, die an Pfingsten über eine Gruppe von Menschen kam?
Dein Geist weht, wo er will. Er ist wie ein Erfinder,
aus Erde hat er uns gemacht, als seines Geistes Kinder.
Die erste, fettgedruckte Strophe des Pfingstliedes, das Wolfgang Poeplau geschrieben und Ludger Edelkötter vertont hat, ist Jahrzehnte alt. Es zeigt mir noch heute, dass Gottes Geist weht und bewegt. Dass er sich neue Bahnen jenseits eingefahrener Gleise schafft. Dass er die Seinen nicht vergessen hat. Sondern durch seinen Heiligen Geist unsere Herzen ergreifen kann. In unsere Stille und in unser Schweigen spricht er. Wenn uns die passenden Worte zur richtigen Zeit fehlen. In allen Sprachen redet er – und ich kann ihn verstehen, wenn ich das möchte. Antrieb für die Liebe ist er, dieser Geist Gottes. Sogar denen gegenüber, mit denen es mir nicht leichtfällt. Weil sie so anders denken, reden und leben als ich. Gottes Geist überwindet meine Schwermut. Mein Trauern über das, was war und nicht mehr ist. Wo er will, weht er, dieser Heilige Geist. Offenbar ist er innovativ. Wie ein Erfinder, der Neues schafft und umsetzt. Nicht nur an Pfingsten.
Br. Clemens Wagner ofm, Schulseelsorger