[Personen von links nach rechts: Theo Ahrens, Bischof Gerhard Feige, Heiner Luderer]
Der Krieg in Israel und auch die zunehmende Zahl antisemitischer Übergriffe in Deutschland werden von Jugendlichen und jungen Erwachsenen aufmerksam wahrgenommen. Fragen nach einem Verstehen, nach Orientierung und nach der guten Haltung werden gestellt. Sie brauchen in der Schule Orte für eine Bearbeitung.
Ein solcher Ort wurde am Elisabeth-Gymnasium der Katholische Religionsunterricht in Jahrgang 12. Die Schülerinnen und Schüler erarbeiteten sich Dokumente zum jüdisch-christlichen Gespräch, schauten auf aktuelle kirchliche Kampagnen gegen Antijudaismus und Antisemitismus und entwickelten die Idee zu einem Gespräch mit Bischof Dr. Gerhard Feige zur Überschrift „Kirche und Antisemitismus“.
Der Bischof nahm die Einladung an und stellte sich in der Woche vor den Winterferien den Fragen der Schülerinnen und Schüler. Die fragten direkt, bekamen Antwort „im Klartext“ und zeigten sich beeindruckt, weil das Gespräch zu den Haltungsfragen - so formulierten einige - sie auch später noch beschäftigt habe.
Doch der Reihe nach.
Bischof Feige eröffnet mit einem Blick auf seine biografischen Zugänge zu jüdischem Leben. Aus seiner Kindheit in Halle erinnere er, eingebunden in die katholische Gemeinde, nur von seinen Eltern über deren frühere Erfahrungen davon gehört, sonst aber keine direkten Berührungen mit dem Judentum gehabt zu haben. „Die kommen erst später“, erzählt er, „angeregt durch einen Vikar in seiner Jugendzeit, während des Studiums in Erfurt und besonders intensiv durch seine Aufgaben als Bischof, bei Reisen nach Israel, bei offiziellen Begegnungen, im ökumenischen sowie interreligiösen Gespräch.“
Antijudaismus und Antisemitismus
Ob es denn heute noch Formen eines Antijudaismus oder Antisemitismus in den Gemeinden des Bistums gebe, gar eine Art Konzept für den Umgang mit solchen Formen, fragt Theo Ahrens.
Feige sieht aktuell im Bistum keine Konflikte, die von einer antisemitischen Botschaft geprägt wären. Das allerdings sei in der Kirchengeschichte deutlich anders gewesen. Unterscheide man einen religiös begründeten Antijudaismus von einem politisch motivierten Antisemitismus, müssen – so Feige – über viele Jahrhunderte im Christentum judenfeindliche, eben antijudaistische Botschaften, Übergriffe, ja Pogrome angesprochen werden.
Mit der Erklärung Nostra Aetate des II. Vatikanischen Konzils von 1965 habe sich dies paradigmatisch geändert. Die Konzilserklärung sei eine Absage an jede Form von Antijudaismus und Antisemitismus gewesen und habe ein Umdenken gefordert, damit die jahrhundertelang verbreitete, tief verwurzelte und nicht dem Evangelium entsprechende Mentalität in Kirche und Christenheit sich ändere. Dieser Prozess sei in der katholischen Kirche in den zurückliegenden Jahrzehnten intensiv umgesetzt worden.
Die Rolle der Kirche in der Nazi-Zeit
Damit verbunden, knüpft Heiner Luderer an, müsse über die Verantwortung von Kirche gesprochen werden, die aus der Zeit des Nationalsozialismus bestehe. Aus dem Geschichtsunterricht jedenfalls bringe er die Einschätzung mit, dass Kirche zwischen Kooperation und Widerstand wenig eindeutig war.
Bischof Feige bestätigt das Spektrum der Haltungen, erinnert an die Deutschen Christen und deren Nähe zum Nationalsozialismus, verweist aber auch auf Persönlichkeiten wie den Münsteraner Bischof von Galen, der sich der Menschenverachtung der Nationalsozialisten entgegenstellte. Mit Interesse verfolge er zudem die aktuelle Diskussion um die Rolle des damaligen Papstes Pius XII., in der es darum gehe, was Pius XII. während des Zweiten Weltkriegs über die Judenvernichtung durch die Nationalsozialisten tatsächlich gewusst habe.
Der Blick in die Geschichte verbinde sich mit der Herausforderung, heute mit jungen Leuten Verantwortung einzuüben. Dafür seien die Gedenkstätten-Fahrt nach Auschwitz oder das Carl-Lampert-Projekt wichtige Beispiele einer schulischen Erinnerungskulturarbeit.
Aufruf der Bischöfe anlässlich des Wahljahres 2024
Feige verweist zugleich über Schulprojekte hinaus. Er habe sich nach dem Ende der DDR mit ihrer „Diktatur des Proletariats“ und nach der Wiedervereinigung Deutschlands nicht vorstellen können, dass man die freiheitliche Gesellschaftsform gegen ihre Untergrabung einmal massiv verteidigen müsse. Deshalb habe er mit den übrigen nordostdeutschen katholischen Bischöfen ein gemeinsames Wort verfasst, in dem die Bischöfe im Wahljahr 2024 die gemeinsame Verantwortung für die freiheitliche und demokratische Lebensform in unserem Land einfordern. „Die Schrecken der Weltkriege und die Gräueltaten des NS-Regimes haben uns gelehrt: Die unantastbare Würde des Menschen zu achten und zu schützen muss die oberste Richtschnur jedes staatlichen Handelns sein. Politische Parteien, die diesen Grundsatz in Frage stellen, können nach unserem Verständnis keine Alternative sein.“
Die klare kirchliche Positionierung weckt in der Schülerschaft Nachfragen zum Verhältnis von Kirche und Staat. Dabei geht es den diskutierenden Schülern weniger um das Argument, Kirche verlasse ihren Bereich und mische sich in staatliche Belange ein. Vielmehr verfolgen die Statements den Gedanken, dass die Demokratie Werte brauche, die sie selbst nicht herstellen kann, die Religion wiederum eine Quelle handlungsorientierender Werte wie Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit sei.
Bischof Feige nimmt die Beiträge aus der Schülerschaft auf und verbindet sie mit der zentralen Aussage des Bistumsprogramms, als Christen in der Gesellschaft eine „schöpferische Minderheit“ zu sein. Da stehe dann insbesondere das Handeln für die Menschen im Mittelpunkt.
Gebet und Stille
Die Gesprächsrunde in der Aula des Elisabeth-Gymnasiums schließt mit einem Gebet, einem guten Wort zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus und zur aktuellen Situation von Hass und Hetze in den Netzwerken und auf den Straßen. Lange noch klingen die Gebetsworte in der Aula nach, bevor die Schülerinnen und Schüler dem Bischof applaudieren.
Text: Hans-Michael Mingenbach | Foto: Martin Scheibe/ELG