„Suche Frieden und jage ihm nach!“ (Ps. 34, 15)
Jene Zeiten, in denen Menschen auf die Jagd gehen mussten, um ihr Überleben sichern zu können, sind vorüber. Um sensible Arten zu schützen und um die Wildbestände zu regulieren, wird das heute noch getan. Aber Frieden nachjagen? Was soll das?
„Suche Frieden und jage ihm nach!“ (Ps. 34, 15)
Wohl mehr als tausend Jahre hat es gedauert, bis das Buch der Psalmen in der Bibel insgesamt fertiggestellt war. Anfangs ausschließlich mündlich überliefert, wurde es erst nach und nach schriftlich fixiert und so einer breiteren Leserschaft zugänglich gemacht. Manches von dem, was für manche überholt oder nicht mehr zeitgemäß scheint, hat an Aktualität nicht verloren. Denn seit es Menschen gibt, wird um den Frieden gerungen. Nicht immer so, dass kriegerische Auseinandersetzungen ausbleiben. Bei solchen Konflikten sterben Menschen auf beiden Seiten. Weil andere meinen, ihnen ihr Leben nehmen zu dürfen, um diesen Preis ihre Ziele erreichen zu können.
„Suche Frieden und jage ihm nach!“ (Ps. 34, 15)
Seit Anfang März 2022 schon machen wir es am Elisabeth-Gymnasium: Im „Raum der Stille“ für Frieden, Gerechtigkeit und unsere Erde zu beten. In der zweiten Pause gegen 11.15 Uhr. Unterschiedlich gestaltet von verschiedenen Lehrenden oder von mir. Hunderte Teilnehmende haben wir nicht. Doch kommen neben denen, die oft dabei sind, immer wieder neue Schülerinnen und Schüler aus den verschiedenen Klassenstufen. Eine überschaubare Anzahl. Aber allzu viele würden auch nicht hineinpassen dort, wo wir beten, singen und nachdenken. Alleingeblieben sind wir bislang noch nicht. Über das, was für die meisten von uns selbstverständlich ist und manche nicht mehr zu schätzen wissen, denken wir nach. Darum beten wir. Um Frieden. Um Gerechtigkeit. Für unsere Erde. Was bringt das?
„Suche Frieden und jage ihm nach!“ (Ps. 34, 15)
Solange Unfrieden weit weg ist, kann ich mich zurücklehnen. Mich betrifft es ja nicht. Mir geht es gut. Frieden habe ich. Ich brauche keine Angst davor zu haben, dass mir jemand nach meinem Leben trachtet. Dass ich fliehen oder Liebgewonnenes zurücklassen muss, weil meine Heimat angegriffen, bombardiert, beschossen und zerstört wird. Meine Einstellung ändert sich, wenn ich in Kontakt komme mit Kindern und Jugendlichen, die das oben Genannte hautnah erleben mussten und es in ihrer unmittelbaren Umgebung erlitten haben. Die - wie ich - wohl kaum daran gedacht haben, dass sie sich damit auseinandersetzen müssen. Dass sie keine Wahl haben und Friede so zerbrechlich ist. Auch wir im Elisabeth-Gymnasium hatten und haben Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine, aus Syrien und aus anderen Krisengebieten unserer Erde. Manchmal ist die Verständigung mit ihnen schwierig. Die unterschiedlichen Mentalitäten zusammenzubringen. Aber darf das zum Hindernisgrund für mich werden, dass ich mich mit den Gegebenheiten nicht befasse? Weil es mich „ja nichts angeht“ und ich „für die Situation dort nichts kann“? Zynisch und menschenverachtend finde ich jene, die meinen, dass die Flüchtenden von niemandem gezwungen worden seien, ihre Heimat zu verlassen und hierher nach Deutschland zu kommen. Niemand lebt gern im Krieg, flüchtet grundlos von daheim. Fängt notgedrungen dort neu an, wo sie oder er nie hinwollte, die Sprache im Gastland nicht versteht, sich nicht verständigen kann und so vieles anders ist als zuhause.
„Suche Frieden und jage ihm nach!“ (Ps. 34, 15)
Ich kann versuchen, mich herauszuhalten aus dem, was für mich so weit weg scheint. Ich muss mich nicht engagieren dafür, dass unsere unheile Welt besser wird. Ich kann andere schaffen und machen lassen. Behaupten: „Das geht mich nichts an!“ Ist dem so? Der vom russischen Präsidenten Putin initiierte Ukrainekrieg widerspricht dem Völkerrecht. Das, was er „militärische Spezialoperation“ nennt, ist Massenmord an Menschen jeglichen Alters in der Ukraine und an den eigenen Soldaten. Umso wichtiger ist es, wieder neu den Frieden zu suchen und ihm nachzujagen. Ist es wirklich so illusorisch, was Jesus im Matthäusevangelium bei Mt. 5, 44f. sagt? „Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, … denn Gott lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten. Er lässt es regnen über Gerechten und Ungerechten!“ Der Pazifist und Buchautor Franz Alt ist der Ansicht, dass Feindesliebe nicht bedeutet, sich alles bieten zu lassen. Aber es könnte heißen, klüger zu sein als der Feind und nicht Gewalt mit Gegengewalt zu beantworten. Nicht erst im Krieg, sondern auch in meiner unmittelbaren Umgebung. Auch am Elisabeth-Gymnasium.
„Suche Frieden und jage ihm nach!“ (Ps. 34, 15)
„Das bringt doch alles nichts!“ „Ich kann doch nichts ändern!“ „Unsere Welt ist halt so!“ „Es wird immer Gewinner und Verlierer geben!“ Diese und ähnliche Aussagen machen mich nachdenklich. Sind Frust, Resignation oder Ignoranz passende Antworten auf die Jagd nach Frieden? Darf ich nicht doch immer wieder um Einsicht beten? Darum, dass Menschen erkennen, dass Aggressionen und Gewalttaten keine Lösung sind? Darum, dass ich selbst dort, wo ich lebe und arbeite, aktiv dazu beitrage, dass Frieden Wirklichkeit werden kann. Obwohl unsere Welt so ist, wie sie ist und ich so bin, wie ich bin.
Br. Clemens Wagner ofm, Schulseelsorger