Der vom II. Vatikanischen Konzil so schon Ende 1965 formulierte Beginn der Pastoral-konstitution „Gaudium et spes“ (Freude und Hoffnung) steht für mich für Ostern 2022. Christen feiern an diesem Fest, dass Jesus nach seinem Tod wieder auferweckt und lebendig wird. Ein Wunder, das ich nicht erklären, sondern nur glauben kann. Ebenso unerklärlich ist für mich, was Menschen in der Ukraine und in Russland und anderswo seit Wochen erleben müssen: Trauer und Angst, die Hoffnung brutal zerstört und jegliche Freude zunichte macht.
„Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi.“
Ostern ohne Karfreitag, an dem Jesus am Kreuz stirbt, gibt es nicht. Viele Menschen, Glaubende und Suchende, Hoffende und Verzweifelnde, sahen den, der für manche Heiland und Erlöser war, tot am Holz des Kreuzes hängen.
War dies das Ende? „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Der Beginn von Psalm 22 aus der Bibel spiegelt menschliche Ohnmacht wider. Das lässt sich nicht schönreden! Was Menschen auch einander antun können, widerspricht nicht nur aller Menschlichkeit und jeglichem Mitgefühl, sondern auch dem, was Ostern ausmacht: „Befreit sind wir von Angst und Not. Das Leben hat besiegt den Tod! Der Herr ist auferstanden!“ Um 1410 wurden diese Zeilen von einem unbekannten Dichter in Mainz aufgeschrieben. Heute finden sie sich in einem Osterlied. Welche Hoffnung, welche Freude muss der Verfasser dieses Textes gehabt haben! Hoffnung, die manchem mo-mentan fehlt. Freude, nach der sich so viele sehnen.
„Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi.“
Alle brauchen Hoffnung und Freude - Trauer und Angst wünscht sich niemand. Doch kann ich dem nicht ausweichen.
Ich brauche nicht zu verdrängen oder nicht wahrhaben wollen, was mich trauern lässt und mir Angst macht. Das ist viel leichter gesagt als getan! Sogar der Auferstandene hatte furchtbare Angst vor dem Sterben und trauerte über das Unverständnis, die Hartherzigkeit, die Verbohrtheit und den Verrat mancher, die zu seinen Jüngerinnen und Jüngern gerechnet werden. Die erleben durften, wie Jesus Kranke geheilt und sogar Tote lebendig gemacht hat. Judas und Petrus haben Jesus verraten, als es darauf ankam, um ihre eigene Haut zu retten. Johannes und seine Mutter Maria hielten aus unter dem Kreuz. Sie standen Christus zur Seite, auch dann noch, als viele andere ihn nach und nach im Stich ließen und sich selbst in Sicherheit gebracht hatten.
„Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi.“
Menschen brauchen Freude und Hoffnung - nicht nur oder erst an Ostern. Nicht ausschließlich in der Ukraine, in Russland und in den Gebieten und an den Orten, an denen sie sich nach Frieden sehnen. Menschen können tatsächlich lernen, mit und trotz ihrer Trauer und ihrer Angst zu leben. Dem brauchen und können sie nicht ausweichen. Nicht nur, weil Jesus Christus selbst all das ertragen und auf sich genommen hatte, damit wir Leben haben, das uns niemand nehmen kann. Sondern auch deswegen, weil es immer wieder Männer, Frauen und Kinder gibt, die echtes Mitgefühl haben. Nicht nur für sich, sondern auch für mich. Für meine Sorgen und Probleme. Mitmenschen jeglichen Alters, die mich verstehen, die mich annehmen, wie ich bin und die mir Mut machen, mein Leben so zu gestalten, dass auch andere durch mich ein lebenswertes Leben haben, über das sie sich freuen können.
Br. Clemens Wagner ofm, Schulseelsorger